Einfaches Bauen

Von Sven Schirmer


Veröffentlicht am 2015-10-22


Die vor der industriellen Revolution errichteten Gebäude wurden in der Regel ohne Architekten- und Ingenieursplanung erstellt, dieses bezeichnet man als vernakuläres Bauen (lat. vernaculus, bedeutet einheimisch). In Zeiten ohne die klassischen Ingenieur- und Architektenberufsbilder wurden bürgerliche Gebäude meist auf Basis von Erfahrung und mündlicher überlieferung errichtet, uns ist dieses heute als traditionelle oder regionale Bauform bekannt. In einigen Publikationen wird diese Art zu bauen auch als „Architektur ohne Architekten“ bezeichnet. Im Gegensatz hierzu wurden öffentliche und sakrale Bauwerke meist von Handwerksmeistern errichtet, die quasi dem Berufsbild des heutigen Architekten gleichgestellt waren.
Die regionale Architekturtradition bedient sich nicht nur der althergebrachten Formen- und Architektursprache, sie verwendet auch heimische und traditionelle Baustoffe. Aber auch die Funktionalität des Bauwerkes, die Organisation des Grundrisses und die Art und Weise der Konstruktion unterscheiden sich zum Teil zu unserem heutigen Bauen. Zum vernakulären Bauen gehören auch Hütten, einfache ländliche Behausungen und die informellen Siedlungen der Slums und Favelas. All diese Bauformen und Entwicklungen können unter dem Begriff Einfaches Bauen zusammengefasst werden.

Die Ausführung und Gestaltung kann je nach Kulturkreis und Klimazone sehr unterschiedlich ausfallen. Zu der kulturell gewachsenen Bautradition kommen weitere Entwicklungen hinzu. Hierzu zählt auch das Bauen mit Rest- und Recyclingstoffen. In Ländern mit wenig Einkommen für die Bevölkerung ist das oftmals ein Ausweg sich eine bescheidene dauerhafte Bleibe aufzubauen. Oft werden solche Bauprojekte als Selbsthilfe für die Bewohner von Organisationen angeleitet und finanziell gefördert. Auch das Selber Bauen in den westlichen Ländern zählt zum vernakulären Bauen. Um solche Bauweisen kennenzulernen, müssen wir nicht unbedingt weit reisen.

Beispiele für vernakuläres Bauen:

Das Fortführen der baulichen Traditionen oder das Errichten von einfachen selbstgebauten Behausungen geschieht heutzutage nicht aus fehlender Offenheit für neues, sondern die materielle Not bewegte die Menschen auf althergebrachte und vorhandene Ressourcen und Bautypen zurückzugreifen. Denn neben dem fehlenden Kapital ist oft die fehlende staatliche Kontrolle oder Ordnung der ausschlaggebende Grund ohne Architekt zu bauen. Auch bietet das vernakuläre Bauen die Chance zum Selbstbau und zur Selbsthilfe. Oftmals haben genau diese Bauweisen im ökologischen Sinne den Charme, dass Sie auf nachhaltige und lokale oder recycelte Baustoffe zurückgreifen.

Zur Architektur ohne Architekt gibt es viel Literatur. Besonders hervorheben möchte ich die Bücher von Hans Wichmann, „Architekur der Vergänglichkeit“ über die Lehmbauten der dritten Welt und „Home Work, Handbuilt Shelter“ von Lloyd Kahn, die die Bandbreite des Selber bauen aufzeigt. Auch hervorzuheben ist die Schriftenreihe „griechische traditionelle Architektur“ über die griechischen Inseln vom Melissa Verlag, sehr gut gemacht mit viel Detailtreue.

Die heutige Architektur unterliegt oftmals einer gewissen Eintönig- und Einheitlichkeit. Oftmals kann man anhand der Gebäudeaufnahmen in Publikationen nicht feststellen, im welchem Land bzw. Kontinent das Gebäude tatsächlich errichtet wurde. Dieses ist unverständlich und bedeutet, dass die baulichen Traditionen und energetischen Aspekte des Standortes nicht reflektiert werden. Viele der Architekten in anderen Ländern nehmen sich westliche Vorbilder und verdrängen Ihre eigene Identität und das Wissen um lokale Bauweisen, Ressourcen und Materialien.

Wie bereits in der Publikation „Der ökologische Plan B / Sieben Baustoffgruppen“ aufgezeigt, wird so viel graue Energie und Betriebsenergie verschwendet. Ein Betongebäude mit einer Glas Curtain Wall macht im tropischen- oder Wüstenklima keinen Sinn. Um diese Bauweise umzusetzen, sind hohe Energieaufwendungen im Import von nicht heimischen Materialien und in der Nutzung von haustechnischen Anlagen zur Klimaregulierung im Gebäude notwendig. Passt sich die Bauweise den Ressourcen und dem Standort an, kann im Gegensatz hierzu Energie im Sinne des Primärenergieaufwandes eingespart werden.
Daher ist die Belebung und Fortführung von traditionellen Bauweisen nicht als rückwärtsgewandtes Denken zu verstehen, sondern es stellt eine Chance dar, vorhandenes Wissen mit neuen Ansätzen und neuen Strategien zu verknüpfen. Auch kann hierdurch eine starke Verbundenheit der Bewohner zum Standort gefördert werden.

Dass das geht, zeigen engagierte Architekten weltweit. In den Schwellenländern können sich die Bauherren oftmals keinen Architekten leisten. Umso wertvoller sind daher Beiträge von Architekten die zum Nachmachen anregen, nicht nur die Auftraggeber sollen motiviert werden, sondern auch die lokalen Hochschulen, damit das Wissen weitertransportiert wird.

Einer dieser Vorreiter war der ägyptische Architekt Hassan Fathy (1900-1989). Sein Ziel war eine Architektur für die Armen. Hierzu wollte er alte Bautechniken und Baustoffe wiederbeleben, ohne auf westliche Konstruktionen und Vorbilder zurückgreifen zu müssen. In ägypten wurde bereits zu Zeiten der Pharaonen mit Lehm gebaut. Lehm ist in ägypten ausreichend und überall vorhanden und somit der ideale Baustoff für die oft mittellosen Bevölkerungsschichten. So wurde der Lehmbau zu einem Sinnbild von seinem Werk. Sein größtes Projekt war die 1946 begonnene Siedlung Neugourna für circa 5.000 Einwohner. Lange Zeit wurde die Siedlung von seinen Bewohnern nicht angenommen, inzwischen ist Sie ein Erfolg und besiedelt und sogar in die Liste der UNESCO aufgenommen. Allerdings ist anzumerken, dass viele der Häuser überbaut und verfremdet wurden, was in ägypten auch Tradition hat.
In Neugourna konnte Hassan Fathy seinen Stil ausformulieren. Um Holz zu sparen griff er auf alte traditionelle Kuppeltechniken wie zum Beispiel das nubische Gewölbe zurück. Diese Kuppeln aus Lehm kann man bei richtiger Bauweise ohne Schalung errichten. Auch bei der Bauform der Häuser nahm er Rücksicht auf die arabischen Traditionen. Alle Wohnhäuser haben Innenhöfe und hohe Räume, welche ein angenehmes Innenklima schaffen. Die Straßen sind eng und halten die heißen Winde und den Wüstensand heraus.
Für Hassan Fathy sollte Neugourna das Pilotprojekt für eine neue Wohnungsbaupolitik und angepasste, klimagerechte Architektur werden. Aber wie so oft wurde dieser Weg nicht politisch unterstützt und verfolgt. Dennoch zeigt das Werk von Hassan Fathy auf, was möglich ist.

Immer wieder haben Architekten versucht in den Schwellen- und Dritte Welt Ländern Bautraditionen fortzuführen oder Bauweisen zu übernehmen und anzupassen an die wirtschaftliche Lage der Bewohner. Bereits seit 1974 wurden in Mali und Obervolta durch die Organisation ADAUA (Association pour le developpement naturel d´un urbanisme africain) verschiedene Projekte umgesetzt, auch hier wurde Lehm verwendet mit Kuppeln und Gewölben, ganz im Sinne von Hassan Fathy (Quelle: Am Anfang war die Erde, Jürgen Schneider).

Auch Organisationen wie CRATerre (Centre de Recherche et d´Application Terre) wollen dazu beitragen, dass alte Lehmbau-Bautechniken bewahrt und fortgeführt werden. CRATerre wurde 1973 in Grenoble, Frankreich, von der Architekturhochschule gegründet und ist heute ein Studienzweig eben dieser. Es werden Projekte weltweit, aber auch in Europa, gefördert und unterstützt (Quelle: wie vor).
Auch aktuelle Beispiele bezeugen, dass standort- und klimagerechtes Bauen mit lokalen Baustoffen möglich und sinnvoll ist. Hierzu zwei aktuelle Beispiele:

Der italienische Architekt Emilio Caravatti errichtete 2008 eine Gemeinschaftschule in Kobà, Mali. Das Gebäude ist aus Lehm errichtet und nutzt nubische Gewölbe aus Lehm als Deckenkonstruktionen. Um die Spannweite der Gewölbe zu vergrößern, werden Ortbetonbalken mit Stützen eingesetzt, also eine Mischkonstruktion, wobei der Einsatz des Betons minimiert wurde.

Die Deutsche Architektin Anna Heringer erbaute 2005 ein Trainingszentrum, genannt METI und in 2007 eine Schule, genannt DESI, in Bangladesch. In beiden Projekten wurde Lehm als lokaler Baustoff eingesetzt. Die jeweiligen Obergeschosse wurden als Tragwerk aus Bambus errichtet. Beide Projekte haben große Aufmerksamkeit in der Architekturwelt erzeugt.

Aber auch in den westlichen Ländern wird vermehrt „einfach“ gebaut. In vielen Ländern steigen die Kosten für den Wohnungsbau kontinuierlich an. Einfaches und im Material und Form reduziertes Bauen senkt die Kosten. Regionale und vorgefertigte Baustoffe aus Holz sind meist Ausgangsstoffe für diese Bauweise. Der Bauherr und die Natur ziehen Nutzen hieraus, den Holz speichert CO2 und ist ein naturgesunder nachwachsender Baustoff. Auch bei uns können ökologische Baustoffe im Sinne eines einfachen Bauens helfen die Umwelteinflüsse von Gebäuden auf das direkte Umfeld zu begrenzen. Mehr hierzu in meiner Publikation „Der ökologische Plan B“.

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